Im Sommer 2015 wurde mir und meinem Mann eine ganz besondere Ehre zuteil: wir durften höchstpersönlich an einer privaten Grillparty unseres italienischen Stammlokals teilnehmen. Es war ein herrlicher Spätsommertag und es gab Original Florentiner Bistecca vom Grill.
Es war also alles wunderbar, aber seitdem kann eine Nachbarin, die ebenfalls dort war, mich nicht mehr leiden.
Warum?
Sie erzählte beim Aperitif, dass sie zwar im Büro arbeite, aber hauptberuflich Schriftstellerin sei. Ehe ich fragen konnte, in welchem Verlag denn ihre Werke erschienen seien, war sie schon fleißig am erzählen. Es sei so toll, sich nach der Arbeit entspannt an einen Schreibtisch zu setzen und der Phantasie freien Lauf zu lassen. Sie schreibe Fantasy-Romane unter einem Pseudonym und veröffentliche sie über Printing On Demand. Da würde dann eine Ausgabe des Buches erst gedruckt werden, wenn eine Bestellung bei Amazon eingänge. Das sei so schön praktisch. Und Ich sagte dazu nichts. Das war mein Fehler. Wie sensibel Menschen sind, die schreiben, wusste ich damals schon. Schließlich schrieb ich selbst Bücher. Insofern war ich froh, dass ich mir die Verlagsfrage verkniffen hatte. Aber ich war sprachlos, mit welchem Selbstbewusstsein meine Nachbarin raushaute, sie sei Schriftstellerin. Genauso sprachlos war ich jahrelang über neue Autoren bei Achgut, die ihren ersten Text veröffentlicht hatten und dann sofort im Internet herausschrien: Hurra! Ich hab meinen ersten Artikel veröffentlicht! Jetzt bin ich Journalist!
Vermutlich sind sie einfach schneller als ich. Ich brauchte Jahre, bevor ich es wagte, meine Veröffentlichungen bei Achgut als Artikel zu bezeichnen. Und noch länger dauerte es, bis ich den Mut hatte, mich selbst Publizistin zu nennen. Bis eines Tages eine Kollegin mitteilte, dass der Begriff des Journalisten keineswegs geschützt sei und ich mich gerne so nennen durfte, wenn ich es wolle.
Selbst nach zwei publizierten Büchern, die beide nicht von mir selbst gestaltet oder verlegt oder vertrieben wurden, traue ich mich noch nicht, mich als Schriftstellerin zu bezeichnen. Ich bevorzuge das weniger problematische „Autorin“.
Egal wie: Schriftsteller, Autoren, Publizisten gibt es heute so viele wie nie zuvor. Das Internet macht’s möglich. Um heutzutage ein Buch zu publizieren und in den Handel zu bringen, braucht man keinen Sponsoren mehr. Auch keinen Verlag. Man kann alles einfach selbst machen. Ein Traum. So manches Mal bin ich bei Amazon schon über die seltsamsten Bücher von Selbstpublizierern gestolpert. Da war das wundervolle Werk „Gebrauchsanweisung für die afrikanische Frau“, offenbar von einem naiven alten weißen Mann verfasst, dass so von Sexismus und übelstem Rassismus strotzte, dass einem übel werden konnte. Ein anderes Mal stieß ich auf den Roman eines kleinen Lokalreporters, in dem er sich selbst zum Helden stilisierte und quasi zwischen Einsteigen und Verlassen eines Flugzeugs das Nahostproblem gelöst hatte. Amüsant war es schon.
Und dennoch träumen so viele Menschen den Traum vom eigenen Buch, in einem richtigen seriösen Verlag publiziert, viel gelesen und hoch gelobt. Diesen Traum nicht zu verwirklichen, das kann sehr, sehr weh tun. Ich spreche aus Erfahrung. Ich war manchmal so frustriert von der erfolglosen Suche nach Agenturen und Verlagen, dass ich mehr als einmal drauf und dran war, alles hinzuschmeißen. Und natürlich war meine Begeisterung für Kollegen, die gerade wieder den großen Spiegel-Bestseller gelandet hatten gelegentlich nicht sehr groß. Aber meistens freute ich mich eben doch mit Ihnen. Ich wäre niemals so weit gesunken, sie und ihre Schreibe persönlich zu attackieren. Jeder Autor fühlt sich durch unsachliche, vernichtende Kritik zurecht gestört. Je unsachlicher und vernichtender die Kritik ist, desto sicherer steckt dahinter einen anderer Autor. Und zwar ein gescheiterter. Aber nicht unbedingt. Es kann auch ein sehr erfolgreicher sein, der einfach keine anderen neben sich dulden mag. Beispiele dafür sind in der Literaturgeschichte Legion.
Dank Internet und social media haben solche Menschen es heute einfacher. Da kann man ganz einfach anonym die Bücher des Kollegen öffentlichem Grund und Boden rammen, bis nichts mehr von ihnen übrig bleibt. Und wie alle Menschen, die selbst übersensibel sind, können sie es dann nicht fassen, wenn der so Angegangene zurecht unangenehm reagiert. Jeder kennt sowas. Leute, die einem offen ihren Hass und ihre Verachtung ins Gesicht kotzen und dann anschließend noch sagen: Mensch, du musst auch mal ein bisschen Kritik vertragen können.
Kritik muss ein Autor vertragen können. Das ist allerdings mehr als wahr. Grundsätzlich sollte man sowieso nicht erwarten, das ein Buch jedem gefällt. Dafür sind die Geschmäcker zu verschieden. Natürlich gibt es immer Kriterien für gute Literatur und für schlechte Literatur, aber eben auch die schlechte Literatur hat eine begeisterte Anhängerschaft. Der große Marcel Reich-Ranicky seligen Angedenkens hat gesagt: ein Buch ist gut, wenn es mich gut unterhält. Aber selbstverständlich gibt es einen Riesenunterschied zwischen konstruktiver Kritik und niederschmetternder Beleidigung. Den sollte man als Autor kennen. Man sollte wissen, ob jemand einem helfen oder einen niedermachen will. Und helfen lassen sollte man sich immer.
Man sollte als Leser auch nicht erwarten, dass Autoren übermäßig glücklich sind, wenn man sie auf Fehler im längst gedruckten Werk aufmerksam macht, denn für gewöhnlich lassen die sich nicht mehr korrigieren. Vor Erscheinen ist das noch ganz was anderes. Hinterher ist man immer schlauer. Ich denke, ich kann mit gutem Gewissen einige goldene Regeln formulieren, die Autoren und denen, die es werden wollen weiterhelfen können:
– Wenn Sie schreiben wollen, dann schreiben Sie. Schreiben ist ein wundervolles Hobby. Mich erinnert es immer an die glücklichen Stunden der Kindheit, indem man sich so in ein Spiel verloren hat, dass man darüber Zeit und Stunde vergessen hat. Schreiben Sie in erster Linie für sich.
– Wenn Sie Ihr Buch veröffentlichen wollen, dann lassen Sie es von mehr Personen lesen, als der eigene Familien und Bekanntenkreis bietet. Ich hatte das seltene Glück, dass schon Familien- und Bekanntenkreis mehr als kritisch war. Aber das war gut. Lassen Sie darüber hinaus auch möglichst eine Person das Buch lesen, die etwas von Lektoratsarbeit versteht. Sie können dabei nur gewinnen.
– Schreibkurse können hilfreich sein, müssen es aber nicht. Es gibt mittlerweile auch viele gute Sachbücher zum Thema kreatives Schreiben und zum Schreiben von Exposés, mit denen Sie sich an Verlage wenden können.
– Wie hast du bloß einen Verlag gefunden? Das ist die häufigste Frage, die man als Autor zu hören bekommt. Ich würde von folgender Prämisse ausgehen: wenn Sie ein gutes Buch geschrieben haben, das Hand und Fuß hat und die Voraussetzung, dass vermutlich viele Leute es lesen wollen, dann finden Sie auch einen Verleger.
– Rechnen sie aber bitte damit, dass dies u.U. sehr, sehr lange dauern wird.
„Harry Potter“ bot die Autorin an wie sauer Bier. Die Tierarztgeschichten des wundervollen schottischen Schriftstellers James Herriot wollte geschlagene zehn Jahre lang niemand haben.
Sie brauchen leider Geduld und Hartnäckigkeit. Was mich bei der Stange gehalten hat war, dass der eine oder andere Verlag oder die eine oder andere Agentur sich positiv zurückgemeldet hat:
„Dass Sie schreiben können ist gar keine Frage, aber…“; der Rowohlt Verlag meldete sich durch einen Lektor, der äußerte, er hätte dieses Projekt sehr gern realisiert, habe sich aber leider nicht durchsetzen können. Das war immerhin schon etwas. Trotzdem brauchte ich einen langen Atem. Eine Literaturagentur habe ich leider bis heute nicht, dafür aber immerhin einen feinen, kleinen Verlage gefunden. Hält man sein Buch erst mal in der Hand, weiß man:
Das war es wert.